Dienstag, 22. Mai 2007

Auf dem Weg zum Inland Empire.

Es gibt Filme. Und es gibt Filme von David Lynch. Das ist ja nun an sich nichts Neues. Aber die Konsequenz davon kann einen immer wieder überraschen. Absolute Einzigartigkeit, schwere Greifbarkeit, profunde Verwirrung.

Letzte Woche habe ich dann auch mal sein jüngstes Werk in Augenschein genommen: Inland Empire. Und bin mir noch nicht so ganz sicher, wie ich das Erlebnis bewerten soll. Ein Erlebnis war es definitiv: hypnotisch, rauschhaft, surreal; kraftvoll, massiv, erschlagend. Aber eben gleichzeitig auch... anstrengend, schwierig, (über)fordernd für die Ratio; geprägt durch DV- statt Film-Ästhetik, keinen unmittelbaren Sinn erschließende Dialoge, extreme Länge (DREI Stunden).

 

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Nun sollte dem geneigten Kinogänger schon seit einigen Jahren klar sein, daß er von einem Lynch-Film keine klassische lineare Narration zu erwarten hat. Daß er vor Rätsel gestellt, mit schwer zu dechiffrierenden Metaphern konfrontiert, auf der Suche nach einer Aussage bzw. ihrer Deutung wenigstens teilweise allein gelassen werden wird. Ich persönlich finde das ja auch auf jeden Fall vorteilhaft - stromlinienförmige, vorhersehbare und intellektuell oder künstlerisch belanglose Filme gibt es nun wahrlich mehr als genug.

Inland Empire geht aber noch einen ganzen Schritt weiter als etwa Lost Highway (bis heute einer meiner fünf Lieblingsfilme) oder Mulholland Drive. Auch diese boten massive Brüche in ihrer Erzählstruktur und waren schlichtweg nicht vollständig aufzulösen, wenn man sie als "normale Filme" begreifen wollte.

Aber trotz alledem waren sie zumindest partiell wie solche zu genießen: das Geschehen war über einen nennenswerten Zeitraum hinweg in sich schlüssig dargeboten, kausal wie chronologisch konnte man dem Ganzen - wenn auch mitunter mit ein paar Fragezeichen auf der Stirn - über einen relevanten Teil der Laufzeit am Stück ohne größere Probleme folgen. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, daß etwa Lost Highway ohne weiteres als "zwei Filme in einem" konsumierbar ist: das einzige echte Mysterium bleibt der Bruch in der Mitte der Erzählung, ansonsten ist alles/sind beide Hälften des Films problemlos nachzuvollziehen. Jedenfalls jeweils für sich genommen. Und wenn man sein Heil sonst nicht gerade in einer Eddie Murphy-Komödie sucht.

 

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Aber wie auch immer - Inland Empire ist anders. Hier kommt der Bruch ungefähr alle 15 Minuten. Hier wird die Perspektive nicht nur gewechselt, sondern komplett verdreht, und das eben nicht ein-, sondern gefühlte hundertmal. Hier ist die Zerstörung der Kontinuität nicht singuläres, dadurch auch singulär kraftvolles Gestaltungsmittel, sondern übergreifende Methode. Hier wird somit eine Erzählung derartig brutal in derartig viele kleine Einzelteile zerhackt, daß sich ohne ein Höchstmaß an eigenständiger, subjektiver, damit auch sehr freier bis beliebiger Interpretationsarbeit keinerlei "Sinn" nach herkömmlicher Lesart mehr erschließen läßt.

Das Brechen von inhaltlichen Erwartungen ist nun schon sehr sehr lange ein "Markenzeichen" (furchtbares Wort) von David Lynch. Das Brechen narrativer Erwartungen spätestens seit Lost Highway ebenfalls. Bis zu einem solchen Extrem ist es jedoch meiner Meinung nach noch nie zuvor getrieben worden. Bis dato war es noch möglich, im Moment des Bruchs als solchem eine Aussage zu sehen. Und sich daraus eine umfassende "Botschaft" zu erschließen - siehe dazu etwa auch Twin Peaks.

Doch mit Inland Empire nähert sich Lynch vom vermittelten Empfinden her rasant dem Dadaismus - mit dem signifikanten Unterschied, daß im Dadaismus die Form eines Textes in sich bereits ein überdeutliches Statement darstellte, in seinem spezifischen Kontext, in seiner versteckt-offensichtlichen politischen Wucht (zumindest bei den mir bekannten Werken und meiner bescheidenen Interpretation nach).

 

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Inland Empire hingegen will uns ganz offensichtlich eine Geschichte erzählen. Wollte der Film dies nicht, bräuchte er nicht solche Wege zu gehen - und nicht solche Kreise zu schließen: auch noch der kleinste, zum Beginn des Films angelegte Sinnfetzen findet spätestens zum Schluß des Ringelreihens eine Auflösung...nein, irreführendes Wort: er wird noch einmal aufgegriffen. Aber wenn es hier nur um die Geschichte geht - muß das so kompliziert angelegt werden? Eine andere Kritik, an einem anderen Ort, meint, bei diesem Film ginge es vor allem um eines: zu zeigen, wie ein guter Schauspieler eine Rolle so intensiv interpretieren kann, daß die Grenze zu ihm als "Privatmensch" vollkommen zerfließt. Daß Geschichte und Realität mithin eins werden - oder jedenfalls in der Wahrnehmung durch andere. Davon steckt sicherlich etwas im Geschehen auf der Leinwand. Aber auch hier: für die Vermittliung dieser Aussage bräuchte der Film nicht solche Wege zu gehen - und nicht solche Kreise zu schließen.

Was läßt sich aus dem Ganzen dann herausholen? Wollte hier ein Regisseur möglichst undechiffrierbar, damit betont intellektuell spielerisch, uns zeigen, was er so alles auf dem Kasten hat in Sachen "Publikum verwirren"? Wie ein echt cleverer Kerl aussehen? Wäre der Mann hinter der Magie ein anderer als David Lynch, würde ich eine solche Antwort vielleicht favorisieren. So aber... denke ich dann doch eher demütig schon daran, mir unbedingt die DVD holen zu müssen und mir das ganze noch mindestens 4 mal anzusehen. Besser: anzutun.

Oder ich nehme es mit Freund C. Der sagte nach dem Wanken aus dem Saal zwei kluge Dinge:

"Diesen Film muß man nicht verstehen. Aber man muß ihn sehen."

...und vor allem:

"Inland Empire ist eine fast dreistündige surreale Inszenierung, kein Film im normal verständlichen Sinn, also mit Plot und allem, was dazu gehört. Eine surreale audiovisuelle Inszenierung. Kein Film."

 
Bliebe nur noch festzustellen, daß sich zumindest mein Hirn bei Bildern, Musikstücken und ansatzweise sogar Texten gar nicht mal so schwer tut, eine offenbare "Sinnfreiheit" schlicht und einfach zu akzeptieren. (Gut, bei Texten klappt das schon nur beschränkt - nämlich etwa bei Stilen wie dem Dadaismus, siehe oben, dem ich ja aber letztendlich in seiner Form selbst bereits eine Aussage, einen Sinn beimesse.) Bei Filmen allerdings... funktioniert das für mich nicht auf derartige Weise. Mein Hirn sucht, gar nicht mal gewollt, permanent nach Erklärungen. Nach Verbindungen im gezeigten Geschehen. Eben: Nach Sinn.
Schade?

Alle Fotos Copyright www.inlandempirecinema.com

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blogger.de:damals - 24. Mai, 00:04

Ich habe den Film auch gerade gesehen - und die Schlussfragen bringen es für mich auf den Punkt: Es gibt hier (anders als bei "Lost Highway" und "Mullholland Drive" - letzterer einer meiner fünf Lieblingsfilme) keinen auflösbaren Sinn mehr: Das beweist der Umstand, dass am Anfang (durch die Polin) gesagt wird, dass es in dem Film keinen Mord gibt, am Ende dann gibt es ihn aber doch, und zwar eindeutig in diesem Film, nicht in irgendeiner anderen Ebene der Handlung. Das war für mich durchaus erleichternd, weil das nach dem ersten Sehen von "Mulholland Drive" notwendige angestrengte Rätseln, wie nun alles zu verstehen sei, wegfiel.
Andererseits fand ich den Film insgesamt zu lasch: kein auflösbarer Sinn (der die Spannung aufrechterhält), deutlich zu lang, ästhetisch bewusst nachlässig, ...
Schön fand ich die Identitätsfrage, um die der Film insgesamt im Ungefähren kreiste: Da steht Polen für die Wurzeln, die Traditionen, wo es das Böse noch in persona gibt, aber eben auch das Gute (die Familie) - und dagegen das heutige echte und gegenwärtige Amerika, das Laura Deern wunderbar verkörpert, indem sie begreift, dass die alten und betont kafkaesken (der moralische Richter auf dem Dachboden wie im "Prozess") Ideen Europas ihr nichts mehr zu sagen haben. Sie lebt im Jetzt und verschmilzt am Ende tanzend mit den austauschbaren Exfreundinnen ihres Geliebten unter dem Motto: "Black and White together blöd und fröhlich!"
Vielleicht hat sich meine alte Lynch-Begeisterung auch abgekühlt, weil ich erkannte, wie amerikanisch er ist (hätte man eigentlich schon bei der unsäglich blöden "Straight story" merken können) und wie europäisch ich bin. Als ich aus dem Kino kam, fühlte ich mich wie ein Pole.

todaystomorrow - 24. Mai, 12:58

Hmm, daß es trotz gegenteiliger Ansage einen Mord gab, ist für mich nun nicht unbedingt ein Beweis für "Sinn-losigkeit". Schließlich ist die Polin ja durchaus auch einfach nur als Figur deutbar, nicht notwendigerweise nur als eine Art "Meta-Ebene des Films". Deshalb wäre ich persönlich auch vorsichtig beim Hineininterpretieren einer Betrachtung über "Europa vs. Amerika" in den Film.

Auf DIESEN Gedanken bin ich jedenfalls überhaupt nicht gekommen, und meiner Meinung nach wäre das vielleicht auch ein wenig zu platt bzw. naheliegend für einen Lynch-Film. Den Vorwurf, er wäre "zu amerikanisch", würde ich da auch nochmal überdenken: nichts ist so, wie es scheint ;)

Aber hey, genau das meinte ich ja in meinem Artikel: um sich aus diesem Film einen "Sinn" nach herkömmlicher Lesart zu erschließen, muß man extrem eigenständig, subjektiv, damit aber auch sehr frei bis beliebig an die Interpretation herangehen. Dürfte ein Lieblingsfilm aller Neo-Formalisten werden.

In einer gewissen Hinsicht ist Lynch allerdings tatsächlich sehr amerikanisch (und da lasse ich "Straight Story" außen vor, der fällt für mich völlig aus dem Rahmen): Er ist bzw. war mit seinen im weitesten Sinne experimentellen Filmen immer sehr unterhaltsam. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Vertretern eines intellektuelleren Kinos. Und genau dafür liebe ich ihn ja - eigentlich. Er macht Filme, die nicht nur andersartig sind, sondern dies auch in einem angemessenen narrativen und visuellen Rahmen vermitteln. Gerade dadurch werden sie ja so aufregend. Jedenfalls im Vergleich zu den meisten europäischen Kandidaten. Die finde ich nur allzuoft unerträglich. Intellektuelles Onanieren: Schaut mal, wie anders ich bin. Ohne Unterhaltungswert. Und "Inland Empire" geht eben leider bedenklich stark in eine solche Richtung... insofern finde ich den Film eigentlich eher "zu europäisch".

Aber wie angedeutet: einmaliges Sehen reicht wohl kaum für ein fundiertes Urteil.

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oh baby
... es regnet.
haifischmaedchen - 15. Jun, 19:12
Ist das nun eigentlich...
Ist das nun eigentlich sehr blasphemisch oder, ach...
todaystomorrow - 21. Mai, 03:31
Der Kulturkritiker nährt...
scheint so, als habest du dich aus der kulturkritik...
blogger.de:fairfox - 19. Mai, 01:45
oha. wollte schon fragen. aber...
oha. wollte schon fragen. aber sowas wie musical waren...
todaystomorrow - 10. Dez, 02:46
war da auch
das Konzert war Schrott, werden eben alle älter... und...
goomp_entertainment - 6. Dez, 13:58

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