Und es bewegt sich doch: ResistantX, das Web und die Folgen.
Der Reihe nach: ich kann natürlich nicht sagen, daß ich seine Tat gutheiße. Ich kann auch nicht sagen, daß die Dokumente aus seinem Nachlaß das Bild eines großartig erinnerungswürdigen, außerordentlichen Menschen zeichnen: zu pubertär, egozentrisch und, tja, selbstmitleidig scheint das meiste dessen, das man da lesen und sehen kann. Hinzu kommt eine Verwirrung höheren Grades, die vor allem aus seinem Abschiedsbrief spricht. Aber die ist verständlich, finde ich – wegen mangelnder "Altersweisheit" (Erfahrungen, Distanz zum Erlebten, eine gewisse Abgeklärtheit, die meist aus diesen resultiert); aber natürlich auch wegen der akuten emotionalen Erregtheit, in der der Brief wohl verfaßt wurde.
Ganz davon abgesehen, finde ich jedoch auch seine Tat als solche irgendwo verständlich. (Ja, das erschreckt mich teilweise selbst. Nein, das ist nicht als Aufforderung zur Nachahmung zu verstehen.) Liegt vermutlich daran, daß ich den Mobbing-Hintergrund, die Auswirkungen jahrelanger Demütigung durch Mitschüler und vermeintliche Freunde ganz gut nachvollziehen kann, den man in Bastians Fall wohl als gegeben nehmen kann.
Auszug aus seinem Livejournal.
Spekulationen oder gar Diskussionen um die Gründe, warum Bastians Erlebnisse in einer solchen Entwicklung münden mußten, führen an dieser Stelle zu weit. Eine gewisse Empathie ist meiner Meinung nach aber in jedem Fall verständlich, wenn nicht sogar wünschenswert: schließlich ist niemandem damit geholfen, ihn und seine Tat als kranken Einzelfall abzutun. Für den niemand etwas kann. Der sich, wortwörtlich, von selbst erledigt hat. Aus dem man bloß keine persönlichen Konsequenzen ziehen sollte, wie es die BILD allen Ernstes formuliert:
Liebe Schüler der Geschwister-Scholl-Schule, (...) Ihr seid ohne Schuld. Was Ihr getan habt ist alltäglich, nebensächlich, verzeihlich, unschuldig. Es ist das ganz normale Leben in einer Schule. Der Wahnsinnige in Eurer Schule ist für mich krank. Ihr seid für mich gesund. Bleibt gesund.
Und tatsächlich findet sich in den Weiten des Internets neben stammtischseligen, verkürzenden Verdammern sowie pubertierenden, verkürzenden Verfechtern der Tat eine beständig wachsende Zahl an Menschen, die echtes Interesse an den Hintergründen zeigt. Und ernsthaft bestrebt scheint, etwas gegen das gesellschaftliche Klima zu unternehmen, das Bastians Reaktion zumindest begünstigt hat. Allein das ist enorm viel wert, denke ich. Und es bleibt zu hoffen, daß mit der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Geschehnisse nicht auch ihre Aktivität wieder abflauen wird.
Aber noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt könnte das versuchte School-Shooting sein Gutes gehabt haben – so pervers das klingen mag. Wie bereits erwähnt, haben öffentliche wie private Meinungsmacher im Fall ResistantX eine seltsame Informationspolitik an den Tag gelegt. Die zur Folge hatte, daß zunächst nur entscheidend verfremdete bzw. unvollständige Versionen von Bastians Hinterlassenschaften publik gemacht wurden. Mit teils nur allzu leicht zu durchschauenden Motiven.
Das aber hat sich die Net-Community so nicht bieten lassen. Alles verfügbare Material wurde und wird gesammelt, Texte werden gespiegelt, Video- und Bilddateien von den unterschiedlichsten Privatpersonen wieder online gestellt. Nun kann einem gewissen Teil dieser Menschen sicherlich auch eine beträchtliche Skandal-Geilheit als Antriebsfeder unterstellt werden. Das ändert aber nichts daran, daß in meinen Augen hier das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit bewußt verteidigt bzw., naja, erkämpft wird – siehe auch hierzu KeinMensch.de.
Und das, um es mal ganz simpel auf den Punkt zu bringen, freut mich. Und macht Mut.
Keine Sorge – das war es dann fürs Erste, was dieses Thema in meinem Blog angeht. Danke fürs ausdauernde Lesen.