Ohrfeige oder Schulterklopfen?
Also gab ich mir heute Abend die Irrfahrt ins Nichts. Und zwar sprichwörtlich: in Gießen, nach einer angenehmen, kurzen Bahnfahrt, wurde ich von der Chefsekretärin abgeholt und per VW Golf in ein entlegenes Nest gekarrt, inklusive 20 Minuten Fahrt auf unbeleuchteten Landstraßen und durch dunkel-leere Landstriche. (Einschub: Ich = Großstadtkind. Sowas = Extrem ungewöhnlich bis wahrgenommenes Ende der Zivilisation.)
Dort angekommen, durfte ich mich dann einem Mitglied der GF vorstellen. Oder auch andersrum... War ja schon irgendwie interessant. Schließlich hatte ich vor gerade mal Wochenfrist den Herrschaften erklärt, daß ich nicht glaubte, ihre und meine Interessen würden sich decken. Sprich, mich würde es wohl zu deutlich anderer Arbeit und deutlich kreativeren Ergebnissen drängen, als dieser Laden sie vorsehen und ermöglichen würde.
Trotzdem bedrängte man mich wie blöde, dort zu erscheinen. Na gut. Man ist ja nicht so. Aber natürlich bestätigte sich meine Einschätzung haargenau: Dort will man "Kreativität, die verkauft". Hier will man Kreativität. Ich geh jetzt mal nicht ins Detail, aber für Nicht-Werbung, sondern Verkaufsförderung mit einem noch heftiger Hard-Selling-orientierten Ansatz, als ihn meine jetzige Agentur schon fährt, bin ich wohl ganz einfach noch nicht reif/resigniert/verzweifelt genug.
Wie ich halt so bin, hab ich das dann nach der Agenturpräsentation - auf Nachfrage - auch deutlich kommuniziert. Was das GF-Mitglied erst mal zu einem enttäuschten Gesichtsausdruck, dann zu hektischer Gestik, schließlich und tatsächlich dazu brachte, mir den CD-Posten in seiner Agentur anzubieten.
So. Nun wäre das eine Steigerung im "Job-Ranking" meiner Branche und im Gehalt um ca. 100%. Aber ich hab es abgelehnt. Weniger, weil ich mich dafür noch nicht reif genug fühle. Sondern vielmehr noch, weil ich glaube, damit würde ich mich selbst verraten. Ich weiß, daß in diesem Laden gute Arbeit keine Chance hätte. Ich würde mich entweder aufreiben oder dahin darben, resignieren und bald genau dieselbe Scheiße produzieren, die ich bei anderen "Führungs-Kreativen" verachte. Dabei aber gut verdienen, ein bequemes Leben führen und nach und nach jeden Anspruch, jeden Ehrgeiz, jedes Ziel aufgeben. Und natürlich auch jede Option auf "Besserung"; jede Hoffnung, noch reichlich dazu zu lernen und cleverer zu werden: wie auch, wenn da definitiv niemand ist, der besser ist, als man selbst?
Nun bin ich gekündigt, ohne exakte Job-Aussicht ab 2.4., und habe die Chance auf viel mehr Geld und tolle Titel zugunsten von NICHTS freiwillig abgesagt. Bin ich blöd oder soll ich mir eitel auf die Schulter klopfen, weil ich mich wenigstens noch bemühe, Maßstäbe zu haben bzw. zu behalten? Na, wenn das mein Arbeitsamt-Berater wüßte oder auch beantworten müßte, der mir heute schrieb, er würde mich an eben jenem Datum gerne persönlich kennenlernen... und mit mir über mein "Bewerberangebot bzw. (meine) berufliche Situation sprechen".
Keine Frage, dem Staat wäre es lieber, ich (und jeder andere) würde all seine Ansprüche auf Qualität, Klasse und Sinnhaftigkeit beerdigen und einfach mal brav (im Sinne von steuerzahlend) funktionieren. Aber was ist das denn für eine Orientierung? Was für eine Logik? Ich habe kein Problem damit, hart zu arbeiten und von mir aus auch unverhältnismäßig hohe Steuern zu bezahlen. Wenn ich dafür wenigstens eine Form von Erfüllung finden darf und dazulernen kann. Aber man kann doch nicht ernsthaft von mir verlangen, einfach irgendeinen Job auszuüben, nur um zu arbeiten, schlicht der Arbeit wegen?! Gleich wie produktiv oder sinnvoll sie ist?
Man kann doch nicht ernsthaft wollen, daß ich jede Option auf Qualitätssteigerung meiner selbst aufgebe, nur um jede Sekunde jeden Tages sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein? Welches Potential verschenkt, verbrennt denn dieser Staat bitte dermaßen zielgerichtet? Und warum??
Sorry, wird jetzt polemisch, aber am Ende stelle ich mir dann doch einfach die Frage: Kann es etwas Krankeres geben als die gesamtgesellschaftliche Fixierung auf und Sanktionierung von Erwerbsarbeit als Lebenszweck Nummer 1? Ich habe den Eindruck, unserer Gesellschaft geht es fast niemals noch um Klasse bzw. um die Qualität dessen, was man leistet. Sondern nur darum, daß man etwas leistet. Was auch immer das dann ist, und was die Begleitumstände sind.
So, schlafen gehen. Und morgen weiter lachen. Und wenn nötig, dann auch nüchterner diskutieren. Immerhin bot der Laden eine sehr nette Co-Texterin, die mich zurück nach Frankfurt fuhr und zu Bier und Geplauder bei ihr und ihrem Freund (warm halten, ist Bierbrauer) einlud. Gehört vermutlich ab sofort zum exklusiven, winzigen Kreis meiner Bekannten vor Ort ;)