Auf dem Weg zum Inland Empire.
Letzte Woche habe ich dann auch mal sein jüngstes Werk in Augenschein genommen: Inland Empire. Und bin mir noch nicht so ganz sicher, wie ich das Erlebnis bewerten soll. Ein Erlebnis war es definitiv: hypnotisch, rauschhaft, surreal; kraftvoll, massiv, erschlagend. Aber eben gleichzeitig auch... anstrengend, schwierig, (über)fordernd für die Ratio; geprägt durch DV- statt Film-Ästhetik, keinen unmittelbaren Sinn erschließende Dialoge, extreme Länge (DREI Stunden).
Nun sollte dem geneigten Kinogänger schon seit einigen Jahren klar sein, daß er von einem Lynch-Film keine klassische lineare Narration zu erwarten hat. Daß er vor Rätsel gestellt, mit schwer zu dechiffrierenden Metaphern konfrontiert, auf der Suche nach einer Aussage bzw. ihrer Deutung wenigstens teilweise allein gelassen werden wird. Ich persönlich finde das ja auch auf jeden Fall vorteilhaft - stromlinienförmige, vorhersehbare und intellektuell oder künstlerisch belanglose Filme gibt es nun wahrlich mehr als genug.
Inland Empire geht aber noch einen ganzen Schritt weiter als etwa Lost Highway (bis heute einer meiner fünf Lieblingsfilme) oder Mulholland Drive. Auch diese boten massive Brüche in ihrer Erzählstruktur und waren schlichtweg nicht vollständig aufzulösen, wenn man sie als "normale Filme" begreifen wollte.
Aber trotz alledem waren sie zumindest partiell wie solche zu genießen: das Geschehen war über einen nennenswerten Zeitraum hinweg in sich schlüssig dargeboten, kausal wie chronologisch konnte man dem Ganzen - wenn auch mitunter mit ein paar Fragezeichen auf der Stirn - über einen relevanten Teil der Laufzeit am Stück ohne größere Probleme folgen. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, daß etwa Lost Highway ohne weiteres als "zwei Filme in einem" konsumierbar ist: das einzige echte Mysterium bleibt der Bruch in der Mitte der Erzählung, ansonsten ist alles/sind beide Hälften des Films problemlos nachzuvollziehen. Jedenfalls jeweils für sich genommen. Und wenn man sein Heil sonst nicht gerade in einer Eddie Murphy-Komödie sucht.
Aber wie auch immer - Inland Empire ist anders. Hier kommt der Bruch ungefähr alle 15 Minuten. Hier wird die Perspektive nicht nur gewechselt, sondern komplett verdreht, und das eben nicht ein-, sondern gefühlte hundertmal. Hier ist die Zerstörung der Kontinuität nicht singuläres, dadurch auch singulär kraftvolles Gestaltungsmittel, sondern übergreifende Methode. Hier wird somit eine Erzählung derartig brutal in derartig viele kleine Einzelteile zerhackt, daß sich ohne ein Höchstmaß an eigenständiger, subjektiver, damit auch sehr freier bis beliebiger Interpretationsarbeit keinerlei "Sinn" nach herkömmlicher Lesart mehr erschließen läßt.
Das Brechen von inhaltlichen Erwartungen ist nun schon sehr sehr lange ein "Markenzeichen" (furchtbares Wort) von David Lynch. Das Brechen narrativer Erwartungen spätestens seit Lost Highway ebenfalls. Bis zu einem solchen Extrem ist es jedoch meiner Meinung nach noch nie zuvor getrieben worden. Bis dato war es noch möglich, im Moment des Bruchs als solchem eine Aussage zu sehen. Und sich daraus eine umfassende "Botschaft" zu erschließen - siehe dazu etwa auch Twin Peaks.
Doch mit Inland Empire nähert sich Lynch vom vermittelten Empfinden her rasant dem Dadaismus - mit dem signifikanten Unterschied, daß im Dadaismus die Form eines Textes in sich bereits ein überdeutliches Statement darstellte, in seinem spezifischen Kontext, in seiner versteckt-offensichtlichen politischen Wucht (zumindest bei den mir bekannten Werken und meiner bescheidenen Interpretation nach).
Inland Empire hingegen will uns ganz offensichtlich eine Geschichte erzählen. Wollte der Film dies nicht, bräuchte er nicht solche Wege zu gehen - und nicht solche Kreise zu schließen: auch noch der kleinste, zum Beginn des Films angelegte Sinnfetzen findet spätestens zum Schluß des Ringelreihens eine Auflösung...nein, irreführendes Wort: er wird noch einmal aufgegriffen. Aber wenn es hier nur um die Geschichte geht - muß das so kompliziert angelegt werden? Eine andere Kritik, an einem anderen Ort, meint, bei diesem Film ginge es vor allem um eines: zu zeigen, wie ein guter Schauspieler eine Rolle so intensiv interpretieren kann, daß die Grenze zu ihm als "Privatmensch" vollkommen zerfließt. Daß Geschichte und Realität mithin eins werden - oder jedenfalls in der Wahrnehmung durch andere. Davon steckt sicherlich etwas im Geschehen auf der Leinwand. Aber auch hier: für die Vermittliung dieser Aussage bräuchte der Film nicht solche Wege zu gehen - und nicht solche Kreise zu schließen.
Was läßt sich aus dem Ganzen dann herausholen? Wollte hier ein Regisseur möglichst undechiffrierbar, damit betont intellektuell spielerisch, uns zeigen, was er so alles auf dem Kasten hat in Sachen "Publikum verwirren"? Wie ein echt cleverer Kerl aussehen? Wäre der Mann hinter der Magie ein anderer als David Lynch, würde ich eine solche Antwort vielleicht favorisieren. So aber... denke ich dann doch eher demütig schon daran, mir unbedingt die DVD holen zu müssen und mir das ganze noch mindestens 4 mal anzusehen. Besser: anzutun.
Oder ich nehme es mit Freund C. Der sagte nach dem Wanken aus dem Saal zwei kluge Dinge:
"Diesen Film muß man nicht verstehen. Aber man muß ihn sehen."
...und vor allem:
"Inland Empire ist eine fast dreistündige surreale Inszenierung, kein Film im normal verständlichen Sinn, also mit Plot und allem, was dazu gehört. Eine surreale audiovisuelle Inszenierung. Kein Film."
Bliebe nur noch festzustellen, daß sich zumindest mein Hirn bei Bildern, Musikstücken und ansatzweise sogar Texten gar nicht mal so schwer tut, eine offenbare "Sinnfreiheit" schlicht und einfach zu akzeptieren. (Gut, bei Texten klappt das schon nur beschränkt - nämlich etwa bei Stilen wie dem Dadaismus, siehe oben, dem ich ja aber letztendlich in seiner Form selbst bereits eine Aussage, einen Sinn beimesse.) Bei Filmen allerdings... funktioniert das für mich nicht auf derartige Weise. Mein Hirn sucht, gar nicht mal gewollt, permanent nach Erklärungen. Nach Verbindungen im gezeigten Geschehen. Eben: Nach Sinn.
Schade?
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