... daß wenigstens Italien gewinnt:

Freitag, später Nachmittag. Ich laufe durch eine sonnengeflutete Düsseldorfer Altstadt. Offensichtlich hat gerade ein LahmBallackKlinsi-Team im Elfmeterschießen gegen gnadenlos überlegene Argentinier gewonnen, denn irgendwelche Spackos rammen mir besoffen jubelnd einen schwarz-rot-goldenen Wischmob ins Gesicht.

Und dann ist da die kleine Gruppe schmerbäuchiger, kurzgeschorener Teutonen, die voller Inbrunst ein "Sieg! Sieg! Sieg!" herausbrüllen. Daß darauf ein genau so lautes "Heil!" folgt, scheint die umstehenden Menschen Düsseldorfs nicht weiter zu stören, denn bei der nächsten Runde "Sieg!" stimmen sie alle wieder lauthals mit ein.

Da kann sich auch jetzt nicht plötzlich über gröhlende und schwarz-rot-gold schwenkende, "Deutschland!"-brüllende Horden freuen, da findet man den allerorten neu erwachten Patriotismus nach wie vor bestenfalls grenzdebil, kurz, da stellt man sich auch weiterhin "wider den nationalen Taumel" ... und schon ist man "Linksextremist"? Sieh an.

Es ist Mittwoch Abend. Bester Freund C. und ich haben uns in die Innenstadt gestürzt, um zum ersten Mal freiwillig etwas mehr WM-Atmosphäre zu schnuppern und später hoffentlich mit den Oranjes, die hier heute spielen, angemessen feiern zu können.

Naja. Das Spiel endet 0:0, und so richtig zu Orgien aufgelegt fühlen wir uns hinterher beide nicht mehr. Entschließen uns dann aber doch dazu, auf dem Römer noch ein Bier zu trinken.

Werden von einer Gruppe "Mädels" (verbrauchte Schabracken um die 40) energisch an ihren Tisch gewunken und versäumen es, rechtzeitig zu fliehen. Diejenige, die mich förmlich auf den Platz neben sich auf der Bierbank zerrt, ist dunkelbraun bis schwarz, heißt Lieselotte, befindet sich (wie die anderen auch) im sturztrunken-notgeilen Zustand und trägt allen Ernstes eine schwarz-rot-goldene Federboa um den Hals.

Sie fackelt dann nicht lange und flauscht mich an: "Magst du mit unter meine Boa?" - Mein zaghaftes "Muß das sein?" wird ignoriert, und unter lallenden "Guckt mal, die Lotte hat sich verlobt!"-Rufen ihrer Begleiterinnen zwängt sie mir das nationalige Etwas mit um den Hals und sich noch näher an mich ran. Ohne jeden Anlaß und Zusammenhang gurrt sie mir dann ins Ohr: "Hab ich dir schon gesagt, daß ich auf Sado-Maso stehe?", worauf ich nur noch antworten kann: "Ach, darum die Farbwahl?!"

Ein paar Momente eisigen Schweigens später dürfen wir endlich gehen.

Freitag abend. Halbzeitpause des Fußballspiels Polen - Ecuador. Das heute-journal im ZDF beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung des bisherigen WM-Geschehens, danach sagt der Moderator sowas wie: "Eine Fußball-WM ist natürlich ideal, um die Aufmerksamkeit von den Grausamkeiten abzulenken, die sonst gerade in der Welt passieren: Die Techniker Krankenkasse erhöht ihre Gebühren."

... und obwohl ich Kunde dieses Unternehmens bin und mich deshalb nun in gerechtem Zorn über seine Politik aufregen dürfte, ist es irgend etwas anderes, das mich hier fassungslos macht und mich dazu bringt, mein Bier auf Halluzinogene zu prüfen.

Erschienen im britischen "Independent". Natürlich am 6.6.06.