Zensur ist, wenn man's trotzdem macht...?
Wir rekapitulieren: ein 18jähriger "Loser" (wertneutral gemeint) kommt nicht mehr mit dem Leben und all seinen Frustrationen klar. Ist zu oft verletzt worden, sieht keine Hoffnung mehr, erkennt auch grundlegend keinen Sinn in seiner Existenz.
Er entschließt sich zum drastischen Schritt, für immer zu gehen, und dabei noch ein paar Leute mitzunehmen - die er für sich als Schuldige oder zumindest Teil-Verantwortliche definiert hat.
Als Kind der Gegenwart spielte sich sein Leben vor der Tat zu einem guten Teil auch im Internet ab. Natürlich hat "ResistantX" also, wie fast alle vergleichbaren Individuen, eine deutliche Spur im Netz hinterlassen. In gewissen Ausmaßen sogar bewußt: er nutzte seine Homepage, um einen Abschiedsbrief an alle zu hinterlassen.
Diese Homepage ist längst gesperrt, es gibt aber diverse Mirrors der Seite (unter anderem bei www.keinmensch.de, weitere ggf. auf Anfrage).
Der Abschiedsbrief ist interessant; hinterläßt inhaltlich einen zwiespältigen Eindruck, aber gespalten war die Person des Verfassers wohl auch. Fast noch interessanter sind jedoch die Reaktionen der Öffentlichkeit. Hiermit meine ich nicht die erwartbaren Reflexe der offiziellen Meinungsmehrheit hierzulande (Thema "Killerspiele" und Co.), auch nicht die der Netznutzermasse (teils heroisierend, teils beleidigend dem Täter/Opfer gegenüber).
Spannend sind vielmehr die Verhaltensweisen der "betroffenen Protagonisten" im "betroffenen Medium", also v.a. der Webmaster, Hoster und Forenmoderatoren im Internet selbst.
Wie erwähnt, seine Seite ging sofort offline. myVideo.de beweist sich als nicht ernstzunehmen und löschte seine Clips - was dazu führt, daß nun nur noch die "offiziellen" Medien Ausschnitte zeigen, sich aber niemand da draußen noch selbst ein Bild machen kann. Seine bevorzugte Airsoft-Community versperrt den Zugang zu seinen Beiträgen. Genauso das Chemikerforum, wo er dreist zu den Chancen des Bombenbaus per Düngemittel fragte. Und das nicht zu Unrecht vorübergehend im peinlichen Licht der Öffentlichkeit stehende "Beratungsnetz" löscht kurzerhand den Beitrag, in dem er schon vor über zwei Jahren ganz offensichtlich, öffentlich um Hilfe rief (zur aktuellen Diskussion über die Löschung: das-beratungsnetz.de).
Platte Zensurvorwürfe sind meine Sache ja normalerweise nicht, ebensowenig wie sonstige Schwarz-Weiß-Erklärungsmuster. Und sicher hat jeder einzelne der Verantwortlichen seine individuellen Gründe zur Sperrung/Löschung der, hm, "Beweismittel".
Diese Häufung hinterläßt allerdings doch ganz einfach einen negativen Beigeschmack. Ist das Internet auch in Version 2.0 immer noch nicht reif genug, um mit sich, seinen Protagonisten, seinen Zusammenhängen und vielleicht ja sogar seinen Folgen umzugehen?
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